Gong 9/1977, Seite 83 zitiert
zur deutschen Erstausstrahlung die Wiener Arbeiterzeitung: "Davy hat sich
als Meister des Atmosphärischen gezeigt, als absolut stilsicherer
Beherrscher der Rothschen Donaumonarchie-Endzeitstimmung, als sensibler
Maler von Gefühlen und Stimmungen."
Hörzu 12/1977, Seite 67: "Wiens Charme - eingedickt. [...] Walter Davy
machte aus der Rothschen Novelle ein Fernsehspiel von mehr als 80 Minuten,
aber niemand hebt die Braue und fragt: "Und das alles in 80 Minuten!" Im
Gegenteil, die 80 Minuten dauerten stundenlang, und wer fragte, fragte
allenfalls: "Was, erst zehn vor zehn?" Roth hatte mit Wiener Charme und
Trauer erzählt. Das Fernsehen aber dickte es ein zur optischen
Bedeutungsschwere: Da blickte die Kamera dem liebestrüben Fallmerayer
unverwandt ins Gesicht, und diese blickte tiefgründig in die Linse zurück.
Selbst wenn man ausschaltete, hörte man den Regen an die Scheiben pritscheln!"
Die 'Zeit' schrieb am 18. März 1977: "Auf den ersten Blick sieht das alles
ganz hübsch aus: unverbindlich und gekonnt, routiniert hergestellt und
bequem konsumierbar. Ein bißchen Nostalgie, ein bißchen Zeitkritik. Adel und
Bürgertum, Monte Carlo und die Provinz. Ein Diner mit Champagner, die
Dienerschaft wartet auf, und ein Essen am Familientisch, Spiegeleier gibt’s,
Mutter kocht selbst. Tickt hier, auf einer tristen Bahnstation, der
Telegraph, so ist dort, im Schloß der Gräfin Walewska, die Luft erfüllt von
Klaviermusik à la Chopin. (Und von Geigenklängen natürlich.) In der Tat, das
Rezept ist bekannt: Mit Hilfe höchst bewährter Film-Mittelchen (möglichst
viel Tristesse und langsame Rede, Schwelgen in Atmosphäre) erzählt sich eine
Geschichte aus der k. u. k.-Zeit gleichsam von selbst. Ein paar Damen und
Herren, die das österreichische sachgemäß zu nasalieren verstehen, mit
vielen Pausen, wie sich versteht, damit es bedeutungsvoll klingt, ein
bißchen Französisch und recht viel Russisch darunter gemischt, wie man halt
sprach in den besseren Kreisen, damals im alten Europa, ein Gutshof, ein
Ausritt, ein Herrschaftsgemach, in dem Madame und Monsieur die Freuden der
Liebe genießen, ein Wirbelsturm der Leidenschaft im Park und im Plüsch, ein
gehauchtes rien ne va plus: Das Programm ist abrufbar, die Teile sind
vorfabriziert. Fast schien es, im Fall des „Stationschef Fallmerayer“, als
sei der Regisseur der nur all zu gut bekannten Technik (je höher der
literarische Rang der Vorlage, desto häufiger wird sie verwandt, von
Schnitzler bis Hermann Bang) selbst überdrüssig geworden: Darum ließ er es,
inmitten all der Morbidezza und Getragenheit, von Zeit zu Zeit einmal
kräftig gurgeln und röcheln und schreien, ließ Menschen im Morast versinken
und, zwischen sentimentalem Verweilen, plötzlich grelle Akzente aufblitzen,
das paßte zwar nicht zueinander, aber was machte das schon? Mit der Novelle
von Joseph Roth hatte der Film, außer dem Namen und dem Handlungsgerüst,
ohnehin nichts zu tun. Die nämlich handelt von einem Mann, der, anders als
in der Bearbeitung, kein verkappter Graf ist, vornehm, konversationsgewandt
und elegisch, sondern ein armer Hund, den die vorbeibrausenden Schnellzüge
zu einem Bahnwärter machen, obwohl er doch in Wahrheit ein Stationschef ist.
Fallmerayer, der zu kurz Gekommene: einen Sohn wollte er haben, und seine
Frau gebar ihm Zwillinge – zwei Mädchen. In den Süden wollte er reisen, ans
„Meer aus Sonne, Freiheit und Glück“, und kam nur bis – Bozen. „Man fuhr
zurück und begann seinen Dienst von neuem. Der Morseapparat tickte
unaufhörlich. Und der Regen regnete“: Für Roth genügen zwei Sätze, um seiner
Hauptfigur jene Kontur zu geben, jene Fatalität und Anschaulichkeit, die ihm
der Film neunzig Minuten lang schuldig bleibt. „Und gegenüber der kleinen
Station... schwebte seit einigen Tagen ein unnennbarer, ein namenloser
graublauer Dunst: Wolke, Himmel, Regen und Berge in einem“: Ein einziger
Satz, und der ganze atmosphärische Zauber des Films ist weggeblasen, als
hätte es ihn niemals gegeben. Ein Satz? Ein Wort genügt für Roth, um die
Demütigung des Bürgers, dessen Frau den Namen Klara trägt, im Angesicht der
Gräfin Anja Walewska deutlich zu machen („Sie hatte“, schreibt Roth,
„natürlich seinen Namen vergessen“), eine Demütigung – für die Gräfin nehmen
sich Fallmerayers Geständnisse wie Stilübungen im Russischen aus –, die im
Film so wenig herauskam. wie, damit korrespondierend, der Triumph und, in
einer zweiten Entsprechung, die erneute Demütigung am Schluß: Fallmerayer
muß den heimgekehrten Grafen, einen Krüppel, der gefüttert werden will, ins
Bett hinauftragen." |